niemeyer’s AHA! Erlebnisse - aus Tradition aktuell

— September 2021 —

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11. September 1866 — 11. September 2021

» Exzentrischer «

Lovis Corinth, Carl Strathmann (Ausschnitt)

Carl Strathmann
zum 155. Geburtstag

Münchner Jugendstil pur
und
» bis in die äußerste Fingerspitze
geniale(r) Zeichner und Dekorateur «

In Düsseldorf wegen Unfähigkeit geschaßt
Carl Strathmann, Ibikus (Ausschnitt)
um 9 Jahre später dortselbst ,
der Akademischen Künstlervereinigung Laetitia ,
malfrisch nach Berlin + München mit 1895er Öl
Kraniche des Ibykus
als eines »Hauptwerkes« ausgestellt zu werden .

Lovis Corinth, Carl Strathmann
Lovis Corinth, Carl Strathmann mit Zigarre nach rechts. 1895.
(Öl/Lwd., 111 × 81 cm [43¾ × 31? in]) im Lenbachhaus München
(Frontispiz des Ausstellungskatalogs Bonn, 1976, zu Nr. 129)

Carl Strathmann

Düsseldorf 1866 – München 1939

» … und von der Kunstakademie seines Heimatortes als Zwanzigjähriger wegen Talentlosigkeit entlassen, geriet nach einem Intermezzo an der Kunstschule in Weimar (1886/89; 1888/89 Meisteratelier bei Leopold von Kalckreuth)

( schillerkonform )
… in eine betonte Aufsässigkeit
gegenüber festgefahrenen gesellschaftlichen Vorstellungen
und erstarrten Konventionen .

Er entwickelte die Kunst, zwischen Karikatur und Groteske jene Mitte zu halten, die ihn bald befähigte, für die Zeitschrift Pan, die Fliegenden Blätter, und die Münchner Jugend, die dem Jugendstil den Namen gab, tätig zu sein …

Es bleibt vieles noch zu klären in Strathmanns Werk und seinem Leben .

Carl Strathmann, Ibykus (Ausschnitt)

Die Bonner Ausstellung hat die Wege hierzu gewiesen. «

Aus einer Rezension – gezeichnet »Bonn [IP]« – einer wohl Münchner Zeitung von wohl 24. April 1976 zur Ausstellung Grotesker Jugendstil — Carl Strathmann 1866-1939 im Rheinischen Landesmuseum Bonn 25. 3. – 2. 5. 1976

Ein ›Entwurf‹ als ›fertiges‹ Kunstwerk
und kostbare Zimelie zum 1942 verbrannten 1895er Öl
der Neuen Pinakothek München

» Kraniche des Ibykus «

» Zu gleicher Zeit mit der Salambo entstand auch
sein liebenswürdigstes Bild :

Ibykus ,
der Götterfreund .

Es ist nicht unbeeinflußt von den Japanern

(›Malt in einer … von Japan beeinflußten Manier große Figurenbilder, Landschaften und Stilleben‹, Thieme-Becker). Fliegende vergoldete Kraniche nehmen die obere Hälfte des Bildes ein. Ihnen streckt Ibykus eine Hand grüßend entgegen; um das Haupt hat er einen goldenen Heiligschein, und reiche Kleider umgeben seinen Körper, eine reiche Vegetation von nicht existierenden Pflanzen und Bäumen bedeckt den übrigen Teil des Bildes.

Ich persönlich stehe nicht an , dieses Bild
( des gerade 29jährigen )
mit zu den besten Arbeiten unserer Zeit
zu zählen «

Lovis Corinth 1903

( Zitiert nach Joachim Heusinger von Waldegg
Grotesker Jugendstil — Carl Strathmann 1866-1939
Ausstellungskatalog Bonn, 1976, Seite 82 )

Ibykus

Carl Strathmann , ca. 1894/95

Der nach rechts voranschreitende Götterfreund, gewaltig singend, die Lyra in der ausgestreckten Linken. Zu Friedrich Schiller’s Ballade Die Kraniche des Ibykus von 1797. Schwarze Feder, Aquarell + Gold auf Zeichenkarton, montiert auf Pappe, auf der die Arbeit zugleich complettiert und wiederholt eingefaßt ist. Bezeichnet in schwarzer Feder auf dem Zeichenkarton unten rechts:

Carl Strathmann

C. Strathmann. 80 × 58,5 cm (31½ × 23 in).

» Gleich dem besten Buchbinder klebt (Strathmann) Kartons — seine Aquarelle sind oft aus mehreren Stücken zusammengesetzt — oder spaltet die dünnsten Pappendeckel, wenn sie auf beiden Seiten bemalt sind, auseinander, so daß jedes Bild einzeln da ist « (Lovis Corinth) .

Literatur

Thieme-Becker XXXII (1938), 160 ( › Malt in einer … von Japan beeinflußten Manier große Figurenbilder, Landschaften und Stilleben ‹ ); Vollmer VI (1962), 436; Lovis Corinth, Carl Strathmann, in Kunst und Künstler 1903, SS. 255-263 mit Wiederabdruck in Legenden aus dem Künstlerleben, 1909, SS. 71 ff. bzw. 1918, SS. 68-82; Ders., Meine frühen Jahre, 1954, S. 132.; Heusinger v. Waldegg, Grotesker Jugendstil — Carl Strathmann … Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Druckgraphik / Katalog der Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Bonn März/Mai 1976 nebst 4seit. Ausstellungs- + Literaturauswahl (Kunst + Altertum am Rhein 63); Katalog der Ausstellung »München 1869-1958 / Aufbruch zur modernen Kunst«, München, Haus der Kunst, 1958.

Einzelausstellungen

Retrospektiven: 1916/17 Berliner Secession (Sonderausstellung); 1931 Münchner Kunstverein; 1958 Galerie Wolfgang Gurlitt, München; 1976 Rheinisches Landesmuseum Bonn. – 1902 + 1910/11 Galerie Paul Cassirer, Berlin; 1907 Arnolds Kunstsalon, Dresden; 1911 Münchner Kunstverein; 1914 + 1918 Kaiser Wilhelm-Museum Krefeld; 1914/15 Kunstvereine Frankfurt/M., Augsburg, Leipzig; 1921 Leopold Hoesch-Museum Düren; 1924 Glaspalast Wien (Sonderausstellung); 1931 Münchner Kunstverein (Sonderausstellung).

Gruppenausstellungen

1892 + 1894 Galerie Fritz Gurlitt, Berlin; 1893-1922 wiederholt Internationale Kunstausstellung, München; Münchner Jahresausstellung; Münchner Secession; Große Berliner Kunstausstellung; Berliner Secession; 1894/95 Münchner Kunstverein (gemeinsam mit Walter Leistikow); 1895: Große Berliner Kunstausstellung / Münchner Jahresausstellung, Glaspalast / Akademische Künstlervereinigung Laetitia, Düsseldorf; 1895/96 Glaspalast Düsseldorf; 1905 2. Deutsche Künstlerbund-Ausstellung, Berlin; 1907 Deutsche Nationale Kunstausstellung, Düsseldorf; 1958 Haus der Kunst, München (München 1869-1958 / Aufbruch zur modernen Kunst).

Ibykos

» griech. Lyriker, aus Rhegium in Unteritalien (Reggio Calabria), um 530 v. Chr. blühend, führte ein Wanderleben und hielt sich längere Zeit auch in Samos am Hof des Polykrates auf. Einer Grabschrift zufolge starb er in seiner Vaterstadt; nach einer andern, durch Schillers Gedicht Die Kraniche des Ibykus bekannten Sage des Altertums soll er vielmehr auf der Fahrt zu den Isthmischen Spielen von Räubern ermordet, die Entdeckung der Übelthäter aber durch Kraniche herbeigeführt worden sein. I.’s Hauptruhm gründete sich auf seine erotischen Lieder, die eine glühende Sinnlichkeit atmen … «

( Meyers Konv.-Lex., 4. Aufl., VIII [1888] , 867 )

SCHÖNE GROSSFORMATIGE + TYPISCHE ARBEIT

als malerisch ausgeführter Detailentwurf

zu »Kraniche des Ibykus«

von 1895 (Katalog Bonn Abbildung 138; Boetticher, Öle, 1; ausgestellt noch gleichen Jahres auf der Münchner Jahresausstellung und der Sonderausstellung der Künstlervereinigung Laetitia in der Kunsthalle Düsseldorf + 1898 auf der Großen Berliner Kunstausstellung; 1942 in der Neuen Pinakothek München verbrannt) als neben Salambo (1894/95) und zusammen mit Der Hl. Franziskus predigt den Tieren gleichen Jahres

» Hauptwerke

Carl Strathmann, Kraniche des Ibykus
Carl Strathmann, Kraniche des Ibykus
(Katalog Bonn, Abb. 138)

des dekorativ-ornamentalen Münchner Jugendstils ,

in denen sich verschiedene Einflüsse des Kunstgewerbes, Symbolismus, Byzantinismus und Akademismus (Stucks Sensationserfolg ›Die Sünde‹, 1893) mischen «

(Katalog Bonn, 1976, S. 9).

Hier denn Ibykus apart ,

im Gegensinn nach rechts, die ungezeigt bleibenden Kraniche nicht stumm grüßend, vielmehr emphatisch bewegt, mit gewaltigem Gesang bei entsprechender Körperkurvung, starkem Aufblick und lorbeerbekränzt. Adäquat hierzu das im Öl ruhig in der Linken gehaltene kompakte Instrument hier schleifengekrönt und blütengirlandenumwunden lang gestreckt, über Bild + Goldeinfassung auf den Montagekarton ausgreifend, in der emporgestreckten Linken. Ob der Heiligenschein des Öls hier als solcher gedacht ist, erscheint zweifelhaft als hier als gewaltige goldene (eher geschehensandeutende Sonnenuntergangs-) Halbscheibe ins Blau des Himmels gesetzt, hinter die Bäume, Kopf/Brust + unteren Lyrateil, horizontal begrenzt von der nur spärlich mit Pilzen bestandenen Wiese. Wie denn auch das Gewand noch ohne Schleppe und fast monoton gehalten. Ablenkungsfrei alles konzentriert auf die geradezu hörbare gewaltige Stimme, die bildsprengende Lyra, die mächtige Goldscheibe. Kurz, gegenüber dem Liebreiz des Öls

die von den Augen widergespiegelte

Carl Strathmann, Ibykus (Detail)

vorweggenommene Dramatik des Kommenden ,

die Anrufung der hier nicht gegenwärtigen Kraniche als Kläger: »Von euch, ihr Kraniche dort oben … «.

Womit es gleichwohl nicht sein Bewenden hat. Denn als Top des Bildes ziert den linken Oberrand der Lyra

Carl Strathmann, Ibykus (Ausschnitt: Schmetterling)

ein Schmetterling als Todesbote !

» … Zu einem der typischen Symbole für Seelenflug und Weg ins Jenseits wurde nun – neben den Engeln – der Schmetterling. In der Antike ein Sinnbild für die den körperlichen Tod überlebende Seele (griechisch »psyche« = Seele), hatte er bis in die Neuzeit als Zeichen für Auferstehung und Unsterblichkeit überdauert. Der Klassizismus um 1800 griff auf diese antike Tradition zurück, der Schmetterling wurde zu einem populären Symbol der Grabmalkunst … «

(Norbert Fischer, Von Engeln, Schmetterlingen und dem Übergang ins Jenseits, in Ohlsdorf – Zeitschrift für Trauerkultur Nr. 100/101, I+II, März 2008).

Scheinbar konträr hierzu die — farbkompositorisch natürlich roten — Pilze als einem »Symbol für Langlebigkeit, weshalb zu Neujahr kleine Glückspilze verschenkt werden«. Vielmehr denn wohl Symbolik für die Spannweite des Lebens. Und mit der Strenge dieses Trifoliums

Augensprache , Schmetterling , Pilze

– wie fehlend im Öl –

degradiert diese Detailstudie das letztere

in seiner reichen Blütenpracht thematisch geradezu zu einem bildhaft wunderschönen, aber eben nur noch nicht wehe tuenden Salonbild, als ein sehr schönes Beispiel für den »streng flächenhafte(n) Bildaufbau der 1890er Jahre«, wie denn

die Arbeiten vor 1900 als die »Hochkunst« repräsentierend

generell die entscheidenden sind .

Symbolismus + Jugendstil verhaftet, begann Strathmann in Düsseldorf, doch, so Lovis Corinth, »(n)ach Konflikten mit den (dortigen) Lehrern …

die ihn vergeblich in das gewohnte Drillsystem hineinpressen wollten ,

siedelte er nach Weimar über, wo Graf Kalckreuth viele junge Talente an sich zog«. Formell war es ein Rausschmiß (1886) wegen »Talentlosigkeit«, nachdem »Die Beurteilungen (seiner) Leistungen … gegen Ende der Studienzeit negativer« wurden (Katalog Bonn, Seite 9). Nur neun Jahre später, 1895, wird die dortige Akademische Künstlervereinigung Laetitia nach zuvor schon Berlin + München

des Geschaßten malfrisches
Die Kraniche des Ibykus
als ein »Hauptwerk« (Kat. Bonn) ausstellen!

Der 36jährige Strathmann

» kämpft seinen Kampf gegen die Windmühlen ,

die in seinem Fall die Gunst des Publikums bedeuten … Nur wenige wissen seine Werke zu schätzen … Da ist die Galerie in Weimar, die das Glück hat, Eigentümerin der Salambo zu sein, in München der Gründer der Neuesten Nachrichten, Herr Knorr, ferner der Herausgeber der Kunst für Alle, Direktor Schwarz, der Maler Schlittgen. In Potsdam Rumpf (Fritz R. d. Ä., 1856-1927; Villa Rumpf am Heiligen See), dann noch einige Kenner am Rhein und an der Donau und in Hamburg …

Hatte er mit seinen Aquarellen ein Jahr vorher überall die höchsten Triumphe gefeiert, so lernte er jetzt die Unbeständigkeit des Glückes kennen. Kurzsichtige Engherzigkeit und kunstpolitische Dickköpfigkeit bewirkten, daß diese Salambo nicht einmal im Kunstverein, wo doch jede Dilettantin ihren Schund an der Wand hat, ausgestellt wurde. Dieser Refus war um so merkwürdiger, als sogar zwei Sezessionisten in die Jury gewählt waren, die die Stagnation sozusagen wieder in Fluß bringen sollten.

Die partikularistische Tendenz der jeweiligen Jury hat von da ab viele seiner Sachen auch von den großen Ausstellungen ferngehalten mit der Begründung : Strathmanns Arbeiten wären kunstgewerblicher Natur.

Zu gleicher Zeit mit der Salambo (sein größtes Bild und eins seiner besten) entstand auch sein liebenswürdigstes Bild : Ibykus, der Götterfreund

So entstand Werk um Werk, das Publikum aber zog sich vollständig vor ihm in sein dunkles Schneckenhaus zurück, und selten fiel auf seine Künstlerbahn ein Sonnenstrahl. Aber nichts hat ihn zum Schwanken gebracht …

Daß in seiner Kunst vieles, manchmal sehr vieles tadelnswert erscheint, ist selbstverständlich; erscheint doch der am meisten mit Fehlern behaftet,

der seiner Mitwelt um einige Nasenlängen voraus ist ,

und glaubt doch jeder Laie, sein Kunstverständnis damit dokumentieren zu können, wenn er recht viele scheinbare Fehler an das Tageslicht zerren kann. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß

Strathmanns Kunst
aus der Masse der heutigen Bilderproduktion
als ein Merkstein hervorragt;

immer sichtbarer wird sein Wert emporsteigen, nachdem das Mittelmäßige der wohlverdienten Vergessenheit anheimgefallen sein wird. Emile Zola sagt an einer Stelle in seinen Aufsätzen über die Malerei: »Es gibt eine ewige Wahrheit, die mich in der Kritik aufrecht hält: daß die Temperamente allein leben und die Zeitalter beherrschen.«

Ein Temperament , eine Individualität ist Strathmann gewiß .

Mag er noch ringen, der Kampf ist ja der Reiz des Lebens und nichts ist dem sterblichen Menschen verderblicher, als wenn ihn Fortuna bereits am Anfang seiner Laufbahn mit Gaben überschüttet, mit Gold und dem Lorbeer. Wie vielen sind diese Geschenke zur Fessel geworden! Wie viele haben sie gleich Bleigewichten umklammert und ihre aufstrebenden Ideale in den Sold des tyrannischen Modegeschmacks herabgezogen! Doch das Ringen und Zwingen des widerstrebenden Geschickes stählt die Kraft … «

Lovis Corinth 1903

Zitiert nach der 1918er Zweitauflage seiner
Legenden aus dem Künstlerleben
Seiten 68-82

Befreundet mit Th. Th. Heine, mit dem er der Künstlergruppe Laetitia angehörte, und Corinth. Seit 1891 in München bei Mitgliedschaften in der Allotria und dem Cococello Club sowie ab 1894 in der Freien Vereinigung als Splittergruppe der Münchener Secession,

» deren Mitglieder … die Kerngruppe des Münchner Jugendstils (bilden) …

Gemeinsam ist diesen Malern die akademische Herkunft und die Devise ›Die Überwindung des Naturalismus‹ «

(Kat. Bonn, S. 26), 1907 schließlich der Berliner Secession. Seit 1895 Mitarbeiter des frischbegründeten Pan, seit 1896 der Jugend sowie der Fliegende Blätter (»Strathmanns Beitrag zur Buchillustration des Jugendstils ist nicht sehr umfangreich, aber qualitätvoll«).

» Wohl kein Zweiter unter den erfolgreichen Malern unserer jüngeren Generation ist schwerer zu klassifizieren als Karl Strathmann. Er paßt in keines von den üblichen Schubfächern der Ästhetik … – er hat von allem etwas und ist dabei noch

eine merkwürdig eigenkräftige geschlossene Persönlichkeit «

(Wilhelm Schäfer 1904 in Hundert Meister der Gegenwart, zitiert nach Katalog Bonn, SS. 16 f.).

So denn auch neben dem Bett im Atelier eine erhaben gehängte Maske Ludwig van Beethoven’s (Kat. Bonn, S. 17 + Abb. 15).

Und dieses »zu Unrecht unterbewertet(en … künstlerischen Phänomens) eigenständige Position innerhalb der Stilbewegung ( des namentlich Münchner Jugendstils ) deutlicher als bisher aufzuzeigen« war denn auch eines der Ziele der werkumfassenden Bonner Ausstellung, die damit zugleich auch Hans H. Hofstätters vorangegangene Auseinandersetzung mit Strathmann vertiefte. Wie denn Brigitte Lohkamp in ihrem Katalogbeitrag Strathmann in der Wertung von Forschung und Kunstkritik auch jene Stimme zitiert, die in Strathmann einen

» bis in die äußerste Fingerspitze geniale(n) Zeichner und Dekorateur «

sieht (Seiten 72 + 74).

Dessen »grotesker« Stil nicht zuletzt aber auch jene nachfolgenden Jüngeren packte, deren neue Stilrichtung der deutschen Kunst der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts Weltgeltung verschaffte :

» Wie viele moderne Künstler, die bei der ›grotesken Illustration‹ des Jugendstils (Kurt Bauch) ansetzen, darunter Feininger, Barlach, Nolde, findet auch der junge Paul Klee in seinen phantastisch-satirischen Zeichnungen um 1901 … hier seinen Ansatzpunkt … (Strathmann’s) quasi autonome(s) Spiel mit Formen tendiert in die Richtung der abstrakten Kunst im Sinne des ›Selbstausdrucks der künstlerischen Mittel‹ (Juliane Roh) bzw. mündet in die Ausdrucks-›Hieroglyphe‹ (E. L. Kirchner) der Expressionisten.

Viele Expressionisten wurzeln in ihrem Schaffen im Jugendstil

… später gelangte Kirchner zu seiner schnittigen Formsprache: dem Expressionismus blieb es vorbehalten, die abstrahierenden Stilmittel des Jugendstils zu radikalisieren «

(Katalog Bonn, SS. 65 ff., zuvor schon, S. 64, an bemalte Postkarten Strathmann’s erinnernd, deren »phantastische Erfindungen mit realistischen Einzelformen … an Max Ernst-Collagen denken lassen«).

Und nur neun Jahre nach Ableben des grotesken Jugendstilisten, des Exzentrikers Strathmann, werden die Wurzeln des Wiener Jugendstils neue Wilde Die Wiener Schule des Phantastischen Realismus auf den Schild heben und dernier cris werden lassen, formuliert von Namen, richtiger Programmen, wie, herausgegriffen, Ernst Fuchs oder, eben, Friedensreich Hundertwasser als einem der »exzentrischsten Vorzeigekünstler Wiens«.

Entsprechend denn 2008 die exemplarische Ausstellung des LWL-Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Münster Freiheit der Linie — Von Obrist und dem Jugendstil zu Marc, Klee und Kirchner, präsentierend

» die allseits bekannte Kunst des ›Blauen Reiters‹

(insbesondere Kirchner) in einem neuen Zusammenhang. Erstmals werden

die Ursprünge des Expressionismus

im Münchner Jugendstil um 1900 aufgezeigt …

Gemeinsames Thema der ausgestellten Kunstwerke ist die Bewegung. In Kunsthandwerk und Architektur, in Bildern und Skulpturen gestaltete der Jugendstil ausdrucksvolle lineare Bewegungen, die bereits durch ihre bloßen Verläufe Empfindungen darstellen …

In der Ausstellung ist (auch) ein Hauptwerk des Münchener Symbolismus zu sehen: das großformatige Gemälde ›Salambo‹

des exzentrischen Künstlers Carl Strathmann …

von 1895 (dem Jahre, wie schon erwähnt, auch des Ibykus). Es zeigt eine Szene aus dem berühmten Roman ›Salambo‹ von Gustave Flaubert: den Schlangenzauber … eine Harfe symbolisiert den Klang von Musik … Als das Bild 1895 dem Publikum gezeigt wurde, war es ein Skandal … Trotzdem – oder gerade deshalb – wurde es schon damals ein Publikumserfolg «

(Claudia Miklis im seinerzeitigen Pressestatement des Museums).

Hinsichtlich des starken Goldelements hiesiger Ibykus-Arbeit sei schließlich an dieses als eines »Symbolwerts vom Symbolismus«, als »ein(es) Mittel(s), das jenseits alles Farbig-Natürlichen steht (und dem Kunstwerk) ›sakrale Weihe‹ verleiht« erinnert, mit welcher Umschreibung Hofstätter Oswald Spengler aufgreift, um im übrigen in diesem inhaltlich zu wertenden ganzen Allegorismus ein »bewunderungswürdige(s) raffinement« zu erkennen, ein »vollendete(s) Eindringen des Kunstgewerblichen in die Malerei«. Gustav Klimt’s Goldene Adele von erst 1907 läßt als erinnerungsfrisches Spectaculum grüßen.

Unter den 128 Strathmann-Exponaten der 1976er Bonner Ausstellung

keines mit erkennbarem Ibykus-Bezug ,

woraus anstehender exemplarischer Arbeit nicht allein infolge des 1942er Untergangs des Öls

neben dem künstlerischen ein zugleich exceptioneller Belegwert

zuwächst, sondern sichtbar darüber hinaus hinsichtlich des dem Öl fehlenden Trifoliums von Augensprache, Schmetterling und Pilzen ein einzigartiger Einblick in Schaffensprocess, vielleicht auch Publikumsrücksichtnahme, mehr aber noch, ein geradezu Eindringen in Denkweise und Psyche.

Reflektierender Mensch in der Studie , Heiliger im Öl .

Die kursive Schreibweise der Signatur korrespondierend mit der von Mohammed auf der Flucht in München (Nr. 49 des Bonner Katalogs nebst Abb. 147; um 1900), deren Unterstrich hier bereits vom ersten kleinen t-Strich ausgeht. Ähnlich, wenn nicht gleich, auch die des verschollenen Ersten Kusses (Abb. 49 des Katalogs; um 1892/93), wie denn auch die des verbrannten 1895er Ibykus-Öls in ihrer gleichfalls Groß-Klein-Schreibung vom regelmäßigeren Usus in Versalien-Druckbuchstaben abweicht.

Denkbar frisch in der Erhaltung, dürfte der Bronzeton des Goldes gleichwohl altersbedingt sein. Der Montagekarton mit seinen verschiedenfältigen Federeinfassungen + Kompositionsabschlüssen mit einigen schwachen kleinen Schmutzstellen und vereinzelten Stockstippen im linken Unterfeld. Einherkommend im übrigen mit

jahrzehntelangem Verwahrtgebliebensein
in der Lade nur eines Connaisseurs .

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Joachim Heusinger von Waldegg. Grotesker Jugendstil. Carl Strathmann 1866-1939. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Druckgraphik. Katalog der Ausstellung von 132 Exponaten im Rheinischen Landesmuseum Bonn 25. 3. – 2. 5. 1976. Bonn 1976. 20 × 20 cm (7⅞ × 7⅞ in). 122 Seiten. Mit 164 (29 [2 farb.] ganzseit.) Abbildungen. OKart. m. farb. illustr. VDeckel.

Besitzvermerk auf Vorsatz. Leicht gebrauchsspurig, namentlich hintere Rückenkante abgeschabt. – INLIEGEND: Ausstellungsrezension einer wohl Münchener Zeitung von wohl 24. 4. 1976.

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