Heimwärts — nach Art des Königs
„ Alexander’s heroischster Augenblick “
( Peter G. Tsouras 2004 )
Verdier, François (1651 Paris 1730). Alexander der Große (356-323 v. Chr.) an der Mauer von Multan im indischen (heute pakistanischen) Pandschab December 326. Kampf nach tollkühnem Sprung im Alleingang von der Mauer des belagerten Multan hinab inmitten unter die Feinde. Grau lavierte und weiß gehöhte schwarze Kreidezeichnung auf blauem Papier. Ca. 260 × 505 mm (10¼ × 19⅞ in).
Provenienz
Englische Privatsammlung
um 1770
aufgelegt von dieser auf beigefarbenen Untersatzbogen (38 x 60,5 cm)
mit Wz.
D & C Blauw
(Heawood 3268; »England c. 1769«,
ob begleitet von den Nebenmarken Wappen + IV muß offenbleiben).
Generell nachweisbar Zaandijk, Nord-Holland, 1750-1822.
Ob vorwärts oder heimwärts, es gibt genug der am Wege liegenden Reiche und Städte, die mitgenommen werden wollen. Anstehenden Falles auch gegen den Rat des Weissagers Demophoon. Der voraussah, was eintrat.
„ (Alexander) ließ gleich die Sturmleitern aufschlagen, und erstieg, da es ihm die andern zu lange machten, zuerst die Mauer. Die Brustwehre dieser Mauer war sehr schmal, und hatte keine sonst gewöhnliche Einschnitte … Auf dieser schmalen Brustwehre hatte sich der König, weil er da nicht vest stehen konnte, angeklammert, und hielt die von allen Seiten auf ihn fliegenden Pfeile … mit dem Schild ab. Die Soldaten konnten aber auch die Mauer nicht ersteigen, weil von oben herunter sehr stark geschossen wurde. Doch endlich siegte die Schaam über die Gefahr, indem sie sehr wohl sahen, daß bey ihrem längern Zögern der König dem Feind in die Hände gerathen würde. Allein ihre zu große Eilfertigkeit verzögerte die Hülfe. Denn da jeder der erste auf der Mauer seyn wollte, so wurde die Last auf den Leitern zu schwer; welche also brechen mußten: da denn alle herunterstürzten und auf diese Art die einzige Hofnung des Königs vernichteten. Hier stand er nun,
obgleich im Angesichte seiner ganzen Armee ,
dennoch einsam und verlassen.
Jetzt konnte er vor Müdigkeit der linken Hand kaum mehr den Schild halten … Seine Generals riefen ihm also zu, er möchte an der Mauer herunterrutschen, wo sie bereits schon stunden, um ihn aufzufangen. Alexander aber wagte jetzt etwas Unglaubliches und Unerhörtes, das mehr einen Beweis seiner Verwegenheit, als ein Denkmahl seines Ruhms abgeben konnte. Denn
er sprang ohne Not in die Stadt mitten unter die Feinde ,
wo er nichts anders vor Augen sah, als, bevor er sich noch aufrichten könnte, entweder getödtet, oder gefangen genommen zu werden … Er wußte aber hierbei seinen Körper so im Gleichgewicht zu erhalten, daß er auf die Füße zu stehen kam. In diesem Stande fieng er so gleich das Gefechte an, und zu seinem guten Glücke konnte man ihn nicht von hinten angreifen,
indem ein alter Baum
so zu sagen in der Absicht , den König mit seinen stark belaubten Aesten zu bedecken,
gleich bei der Mauer stand ,
an dessen dicken Stamme er sich anlehnte … Doch da … sich niemand ihm zu nähern getraute, so trafen mehr Wurfspieße und Pfeile die Aeste, als seinen Schild. Für den König stritt ausserdem
sein weltberühmter Name
und dann die Verzweiflung, diese so starke Ermunterung zu einem rühmlichen Tode. Allein da der Feind haufenweise auf ihn losdrang … und er vor Mattigkeit endlich auf die Knie sank; so griffen ihn die zunächst stehenden Feinde mit Verachtung und ohne Vorsicht an, von denen er aber zween mit dem Degen dergestalt empfieng, daß sie vor ihm todt zur Erde fielen, und es keiner wieder wagte, ihm so nahe zu kommen …
„Nun lagen also, zum großen Erstaunen der Uebrigen, drey Todte um den König“… als endlich ein Indier ihn mit seinem zwo Ellen lange Pfeile … dergestalt traf, daß er den Panzer … durchbohrte und daselbst stecken blieb … so ließ er endlich, gleich einem Sterbenden, die Waffen sinken … So gleich lief der, welcher ihn verwundet hatte, voll Freude hin, um ihn zu plündern. Der König … aus edlem Unwillen über diese äusserste Beschimpfung … sich aus seiner Ohnmacht wieder erholte und dem Feinde von unten auf den Degen in die ungedeckte Seite stieß. Nun lagen also, zum großen Erstaunen der Uebrigen, drey Todte um den König …
(Nun aber stießen einige der Besten zu ihm.) Da aber die Indier hörten, daß der König in der Stadt wäre, verließen sie alle ihre Posten, liefen dahin und setzten denen zu, die den König vertheidigten … (die denn auch) der Menge von Feinden nicht länger mehr gewachsen war(en). Inzwischen verbreitete sich das Gerücht von des Königs Tode bey den Macedoniern, die statt dadurch niedergeschlagen zu werden, vielmehr neuen Muth bekamen, ohne Rücksicht auf Gefahr sich mit Pickeln einen Weg durch die Mauer eröfneten, da sie denn in die Stadt drangen, und viele Indier … auf der Flucht niedermachten … “
( Quintus Curtius Rufus , Alexander der Große [ca. 50 n. Chr.],
Frankfurt/M. 1783, Bd. II, Seiten 390-395 ) .
Die Identität Multans mit dem von Alexander eroberten Maii-us-than gilt heute als gesichert. – Gleich drei hier ebenfalls aufliegender gleichartiger weiterer Alexander-Zeichnungen seitens obiger Provenienz montiert und eingefaßt von antiker Goldpapier-Leiste und zwei Paspelierungs-Doppel in Schwarz, trägt die Rückseite die detaillierte Montage- und Rahmungsanweisung in Bleistift:
4 w(ash)|es (lavierte Zeichnungen) / … 2/26 (26. 2.) / gold & w(ash)|lined
(gezeichnete Linien) / mounts & gilt frames (& Goldrahmen) / to suit / ask R.
Wie solchermaßen als eines gern übersehenen „hochinteressanten Zeugen“ (Anna Koopstra) eines Lebens durch die Jahrhunderte.
„ Auch wird deutlich , dass die Rückseiten viele Geheimnisse bergen ,
die unsichtbar bleiben, solange die Gemälde an der Wand hängen. Man könnte die Rückseite eines Gemäldes gut als sein Archiv bezeichnen, da sie oft mit Etiketten und anderen Zetteln beklebt (oder, wie hier, beschrieben) ist, die etwas über seine Geschichte verraten … (und) es ermöglichen
die Herkunft oder Provenienz zurückzuverfolgen “
(Peter van den Brink in Anna Koopstra [Hrsg.], Seitenwechsel – Gemälderückseiten und ihre Geheimnisse (2006/07), Seiten 4 f.).
Thematisch zugehörig aber
Charles Le Brun’s
Grand Peintre du Grand Siècle
Erster Maler König Ludwigs XIV.
gigantischem Alexander-Zyklus
auf fünf Leinwänden zwischen 2,98-4,7 x 4,53-12,65 m aus den Jahren 1661-1668 – adäquate Stichversion von 1671/78 hier aufliegend als Designer-Exemplar jenseits von Gut + Böse – als einer jener Verewigungen Ludwigs XIV., für die dessen 1. Minister Colbert „keine Ausgabe zu groß war, wenn der Ruhm, la gloire, des Königs in Frage kam“. Hier denn der Sonnenkönig in gedachter Gestalt „Alexanders des Großen als Schlachtenmeister“. Dessen persönliche Ausstrahlung die Künstler allerdings in der Tat zu beflügeln vermochte. So meinte 1665 vor Ort der die Porträt-Büste schaffende große Bernini – „Besonders als Porträtist ist (dieser) um der außerordentlichen Fähigkeit willen, das Individuelle der Person wiederzugeben, der bewundertste Meister seiner Zeit gewesen“ (Thieme-Becker) – „der König habe einen Alexanderkopf“. Mit dem Ergebnis, daß „Die großartige Büste des jungen Königs … das selbstbewußte Wesen des Herrschers in unvergleichlicher Weise wieder(gibt): es ist etwas Jupiterhaftes, das aus den heitern Zügen des Monarchen spricht“ (jeweils Weigand, Der Hof Ludwigs XIV., 3. Aufl., Insel-Verlag 1925, SS. 59, 152, 43). Und so war denn auch anstehenden Falles
„ schlußendlicher Konsens
daß niemand anders als Le Brun
Die (Historien/Triumphe Alexander’s) hätte kreieren können “.
Jene Höhepunkte des Handelns eines Mannes also, dessen Name allein schon Programm ist. „Alexandros … der ‚Männerbeschützende‘, griech. Mannesname“. Hier denn „der Große“, nämlich
„ der größte Eroberer aller Zeiten, Sohn des Königs Philipp und der Olympias … Sein erster Erzieher war Leonidas … dann von seinem 13. Jahr ab der berühmte Philosoph Aristoteles. Diesem gebührt der Ruhm, in dem leidenschaftlichen Knaben den Gedanken der Größe, jene Hoheit und Strenge des Denkens geweckt zu haben, die seine Leidenschaften adelte und seiner Kraft Maß und Bewußtsein gab. A. bewies seinem Lehrer stets die innigste Verehrung; er sagte oft, seinem Vater danke er nur sein Leben, seinem Lehrer, daß er würdig lebe … A. wurde schon bei Lebzeiten durch die bildende Kunst verherrlicht wie kein Held des Alterthums vor ihm “
(Meyers Konv.-Lex., 4. Aufl., I [1889], 316 ff.).
Herausgreifend die highlights Überquerung des Granikos Mai 334 – Am Morgen nach der Schlacht bei Issos im Zelt des Dareios, dessen Familie seine Aufwartung machend, November 333 – Entscheidungs-Schlacht von Gaugamela/Arbela 1. Oktober 331 – Einzug in Babylon Herbst 331 – Am Hydaspes oder Poros vor Alexander Mai 326 . All welcher Grandeur
François Verdier
umsomehr verpflichtet war als Le Brun von Anbeginn nahestehend und schließlich auch familiär verbunden. So zunächst als Schüler an der Académie royale mit 1668 + 1671 jeweils einem 1. Preis, dann als Gehilfe in Versailles und schließlich seit 1685 durch Heirat einer Nichte Madame Le Brun’s.
1668 zum Agréé und 1678 zum Vollmitglied der Académie royale ernannt, bildete sich François Verdier, Sohn des Hofuhrmachers Louis V., 1679/80 an der Académie de France in Rom weiter, an der er 1681 zum Professeur-adjoint berufen wurde und von 1684/99 als deren ordentlicher Professeur wirkte. »Zahlreiche Stecher, darunter (Le Brun’s legendärer Alexander-Stecher) Girard Audran … haben nach (seinen) Zeichnungen gestochen« (Thieme-Becker XXXIV [1940], 233). Sein von Jean Ranc (Montpellier 1674 – Madrid 1735) gemaltes Portrait brachte diesem 1703, der von Etienne Desrochers (Lyon 1668 – Paris 1741) danach gefertigte Kupferstich 1723 letzterem – in Verbindung mit jeweils einem weiteren Portrait – die Mitgliedschaft in der Académie royale ein.
Seine Zeichnungen – vielfach gleichen hiesigen Formates – wohl eher nur vereinzelt signierend, benutzte er praktisch generell beigefarbene und braune Papiere, von denen sich denn
hiesige auf ihrem blauen Papier sichtbar abhebt ,
wie denn solche dem Sammler alter Meisterzeichnungen und Graphiken seit jeher besonders kostbar sind, nicht zuletzt als an besondere Zweckbestimung denken lassend. Als stilistisch und technisch heranziehbar diesbezüglich erinnerlich etwa auch Verdier’s auf blauem Papier gefertigte 6blätterige Folge zum Alten Testament in London (British Museum 1872,0113,763-768), die denn früher auch Charles Le Brun zugeschrieben war und deren Blatt 767 2002 zur 6monatigen Japan-Ausstellung French Drawings from the British Museum in Tokyo + Nagoya gehörte.
„ Besonders in Frankreich lassen sich
zeichnerische Meisterstücke auf blauem Papier
in schwarzer und weißer Kreide … finden …
Viele benützten blaues Papier, um die sorgfältige Tuschlavierung auch mit Lichtern ausstatten zu können “
(Meder, Die Handzeichnung, 1919, SS. 356 + 359).
Schwache Faltspur rechts der Mitte. – Der Montagebogen gesamthaft nicht frei von seinem wie nur höchst selten so reizvoll belegten Alter, so etwa auch rückseitiger Oberrand mit 2 cm breitem braunen Klebstreifen.
Das unerhörte Alexanderzug-Scenario schlechthin.
Das Atemstocken , das seinesgleichen sucht
— hier erstmals im Bild ? —
für Tsouras dokumentierbar nur mit einer Darstellung der sich anschließenden Wundbehandlung eines wohl Holzstich-Anonymus des 19. Jahrhunderts.
„ (Aber gleich seinem Heros Achilleus war Alexander willens die Wahl zu treffen zwischen Sicherheit und dem süßen ‚Geschmack eines Lebens unsterblichen Ruhms über das Grab hinaus‘). “
Multan
( Kasyapapura ) im indischen Pandschab
December 326
„ ( Jener einzigartige Augenblick
an der Mauer
der Zitadelle der Mallier
für ihn Wert des Ganzen ) “
Peter G. Tsouras
Lone Stand in India / Alexander’s Most Heroic Moment ,
2004 als Titelgeschichte in Military History XXI,2 , Seite 80 ,
mit im übrigen Flavius Arrianos (2. H. des 1./1. H. des 2. nachchristl. Jhdts.) als hinsichtlich genutzter Rückendeckung vom früheren Curtius Rufus abweichender Quelle. So der Mauer selbst statt des Baumes an dieser wie bei Curtius und entsprechend hier denn auch von Verdier verbildlicht. Wobei Meyers Konv.-Lex., siehe oben, I, 868, Arrianos generell als „… nach den besten Quellen, wie Aristobulos, Ptolemäus, welche Alexander begleiteten“ qualifiziert, während anstehende Curtius-Ausgabe zum Mauer-Geschehen Ptolemäus explizit zurückweist als nach dessen ausdrücklichem Bekunden „eben damals (von) Alexander anderstwohin verschickt“ worden zu sein. Und damit eben nicht miterlebend
Alexander pur !
Die exakte Lokalität des Geschehens aber heute eine Tourismus-Attraktion .
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