Es war schon immer etwas aufregender ,
auf der Welt zu sein:
Famoses Ridingerianum
mit jedem erneuten Betrachten faszinierender
Wohl von der Hand Johann Jacob’s
Ridinger, Johann Jacob (? 1736 Augsburg 1784). Viel Luchse sind der Hirsche Tod. 13 letztere, deren zwei von drei bzw. einem Luchsen angefallen sind. Alle übrigen in wilder Flucht. Durchgängig belaubte abfallende Felsszenerie mit Gewässer im Vordergrund, in dem sich sechs – zwei kapitale – Tiere bereits befinden, davon eines beim Sprung von oben auf dem Rücken gelandet. Ein weiterer Kapitaler noch im Sprung begriffen. Oberhalb der Gruppe eine zweite von je zwei Hirschen und Tieren, davon einer der beiden ersteren mit souveränem Luftsprung den Beschluß bildend. Mittig links indes die Dominanz eines sich bäumenden Kapitalen mit abnormem Geweih mit einem ihn am Hals gepackten Luchs auf dem Rücken, einem zweiten angeklammert am Bauch und einem hinzuspringenden dritten rechtsseits, indes links dieser Gruppe ein weiterer Kapitaler ins Auge des Taifuns hineinflüchtet, dem ein vierter Luchs am Spiegel aufgesprungen ist. Eingefaßte Feder- und Tuschpinselzeichnung in Schwarz (Umriß) und Graubraun auf chamoisfarbenem festen Velin. 323 × 493 mm (12¾ × 19⅜ in).
Niemeyer, Ridinger Erlebnisse 1698-2020, 2021, SS. 186-188 nebst Farbabb. + 288 f. als dblgr. Farbtafel. – Verso unten rechts Namenszug eines mutmaßlichen Vorbesitzers in Bleistift, lesbar nur das „G:“ des Vor-, nicht der längere Nachname und eine von umlaufendem schmalen Kantenstreifen früherer Montage auf Rahmungskarton halbverdeckte Zweitzeile. – 3,5 cm langer Einriß in der rechten Oberecke und ein weiterer kleiner in der Himmelspartie ebenso versorgt wie die kleine Eckergänzung unten rechts. – Verso unwesentlich stock- und altersfleckig.
Inhaltlich sind es die verschiedensten bald direkten, bald indirekten Ridinger’schen Bildkomponenten, angeführt von dem luchsbefallenen aufgerichteten Kapitalen à la Th. 1144, siehe unten, doch ebenso an den Salto Mortale-Steinbock von Th. 363 erinnernd, dessen dort unter ihm hochspringender Luchs hier der rechtsseitige ist. Und ein Pate für den überfliegenden Hirsch könnte dessen amerikanische Spezie Th. 1009 (»Rid. fec.«) sein, gezeichnet von Johann Elias, Stich offenbleibend. Der schwere Hirsch unten Mitte entsprungen Th. 260/1741, der rechts von diesem Th. 266/1742.
Bildhaft ausgesprochen dekorationsstarke
rasante , geradezu aufregend chaotische Komposition
deren kürzliche Passage auf prominenter Auktionsbühne als Johann Elias Ridinger papierseits a priori ausgeschlossen ist, gleichwohl in großem Kontext zu diesem steht. Nämlich zur beeindruckend inhaltsreichen
kompositionell + formatmäßig gleichartigen Luchs-Hirsch-Gruppe
des Ridinger-Appendix von Johann Elias Ridinger’s Kunstnachlass in Handzeichnungen innerhalb des 1869er „Catalog(s) einer Sammlung von Original-Handzeichnungen … gegründet und hinterlassen von J. A. G. Weigel (1773-1846) in Leipzig“ und dort innerhalb der Hirsch/Reh-Gruppe wie folgt positioniert:
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139. Eine felsige Landschaft, wo ein hochaufgesprungener Hirsch auf dessen Rücken ein Luchs sich festgeklammert hat, von drei Luchsen umgeben ist. Mit dem Namen. 1746. Feder. gr(oß). qu(er). f(ol).
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163. Eine Felsenparthie mit einer grossen Eiche, wo ein hochsetzender Hirsch mit einem Luchs auf dem Rücken sich vor zwei Luchsen zu retten sucht, die auf ihn lauern. Ein anderer Luchs sieht von der Eiche herab. Mit dem Namen. 1747. Tusche und schwarze Kreide. gr. f. (433 x 382 mm.) – Siehe Thienemann (Orig.-Ausgabe) Tafel 12.
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165. Mit Bäumen besetzte Felsen, wo zwölf Hirsche und Hirschkühe sich durchs Hinabspringen ins Wasser vor fünf Luchsen zu retten suchen. Einer der Hirsche ist von zwei Luchsen gepackt. Mit dem Namen. 1745. Tusche. gr. qu(er). roy(al). f.
Vgl. Weigel 214: Eine geschlossene Felsenparthie, im Vordergrunde Wasser, wo links vom Felsen sich Hirsche und Hirschkühe herabstürzen, um sich vor den Wölfen zu retten; rechts verfolgt ein Wolf zwei Hirschkühe. Mit dem Namen. 1745. Schwarze Kreide. Gegendruck. qu. roy. f.
Ohne Hinweis auf spiegelbildlichen letzteren, nämlich der Albertina-Zeichnung 14540 der Sammlung Sachsen-Teschen bei dortiger Lesart »1795 ?«, 1892 bei Wawra, Auctions-Katalog einer schönen Sammlung von Handzeichnungen und Kupferstichen Joh. El. Ridinger’s aus dem Besitze eines bekannten Sammlers, Nr. 82. – Zur plausiblen Lesbarkeit einer Ridinger’schen 9 als 2 oder 4 siehe J. H. Niemeyer, Ridinger Erlebnisse … 1698-2020, 2021, SS. 276 + 278. Bestätigt denn auch, wie übersehen geblieben, von Weigel 214, deren Gegendruck-Kopist mit 1745 die »9 ?« des Originals korrekt als 4 las/einordnete.
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167. Eine Felsenparthie; zehn Hirsche und Hirschkühe, von vier Luchsen angegriffen, retten sich durch Fliehen; ein Hirsch im Wasser ist von einem Luchse gefasst, ein anderer kämpft auf dem Felsenstück mit zwei Luchsen. Mit dem Namen. 1745. Schwarze Kreide und Tusche. gr. qu. f.
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170. Ein Wald mit Felsenschlucht; ein setzender Hirsch von drei Luchsen angegriffen, wovon sich der eine an ihn angeklammert hat. Bister. roy. f.
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192. Ein Hirsch, an welchen sich zwei Luchse hängen und ihn festhalten, ein anderer Luchs kommt aus dem Walde, die Hirschkuh entflieht. Federumriss, die Bäume in schwarzer Kreide entworfen. qu. f.
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219. Eine felsige Landschaft mit Wasser; im Vordergrunde auf einem Felsen zwei Hirsche, der eine auf den Hinterfüssen stehend, der von zwei Luchsen gepackt ist; ein anderer, mit einem Luchs auf dem Rücken, thut einen Sprung ins Wasser herab. Fünf Hirschkühe entfliehen vom Felsen, da links oben ein Luchs ihnen nacheilt. Mit dem Namen. 1745. Tusche, oben gerundet. qu. f. – Zu Thienemann/Schwarz 1144 wie folgende.
Und ergänzend aus Sammlung Coppenrath II (1889) die dortigen Positionen
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1921. „Die von Luchsen auf dem Brunfft-Platz angefallene Hirschen.“ Schwarze Kreide und getuscht. Bezeichnet. qu. fol. Zu Th. 1144 (wie schon vorherige). Schönes Hauptblatt.
Th. zu 1144 (Seite 243; Schabkunst; Joh. Elias Ridinger delineavit / Joh. Jacob Ridinger sculps. A. V.; 39,5 x 45,2 cm):
Unten Wasser, umgeben von Felsmassen, auf ihnen ein sich bäumender Zwölfer, dem ein Luchs die Halsadern durchbeißt, einem andern, der sich an seinen Bauch angeklammert hat, giebt er einen Fusstritt, dass er laut aufschreit. Ein kräftiger Sechser thut einen gewaltigen Sprung ins Wasser, um sich des auf ihm sitzenden Wüthrichs zu entledigen. Vier Stück Wild, voran ein Spiesser, eilen nach dem Wasser.
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1922. Aehnliche Darstellung, mit der gleichen Unterschrift. Ebenso, ebenso. Bezeichnet. gr. qu. fol. Eben so bedeutendes Blatt.
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1926. Ein Hirsch wird in felsiger Gegend von drei Luchsen verfolgt. Bleistift und Sepia (sollte recte Bister sein). gr. fol. Sehr schönes Blatt.
Offensichtlich alle mehr oder weniger gleichen großen meist Quer-Formates, ergeben die Datierungen für ihre Entstehung mit 1745-1747 einen thematisch wie zeitlich eng begrenzten Rahmen von allenfalls drei Jahren. Was fragen läßt, was den Meister damals wohl so luchste, ob er ein bestimmtes, doch, wie hier schon an Hand zeichnerischer Lockruf-Arbeiten belegt, unrealisiert gebliebenes eigenständiges Luchs-Hirsch-Projekt verfolgte. Meist signiert, verweisen sie auf Johann Elias selbst. Was Studien des herangewachsenen Ältesten, Martin Elias, an Hand väterlicher Versatzstücke – denn zumindest anstehende Arbeit besteht durchgängig aus solchen – ausschließt. Inwieweit die Mitvierziger-Arbeiten diesbezüglich tatsächlich neue Gruppen und damit einen Steinbruch für zukünftige Arbeiten – wie etwa für die lt. Schwarz mit 1752/53 anzusetzende Zeichnung zur besagten Luchs-Steinbock-Komposition von Th. 363 – darstellen, bedarf weiterer, noch eins draufsetzender Untersuchung.
Noch eins draufsetzend eben rücksichtlich obiger per 165) eingeführter Albertina-Zeichnung gleichen Jahres nebst deren Gegendruck-Kopie mit nunmehr Wölfen statt Luchsen. Gleichen Kompositions-Schemas, wenngleich weniger ausgeführt und damit die Geschehens-Rasanz nicht bis zu letzter Bildhaftigkeit gesteigert. Formatmäßig übrigens noch 4 cm breiter.
Als die Mitvierziger betreffend, kommt die Hand des Vaters für anstehende Arbeit als auf Velin (linienfreies Maschinen-Papier) nicht in Betracht. Um 1750 in England entwickelt, kam dieses herstellungsmäßig erst 1779 auf den Kontinent (Frankreich) und 1783 nach Deutschland. Doch analog zu den von Johann Elias lt. Eigenbekunden für die kolorierten Werke favorisierten holländischen Papieren als »hierzu das anständigste und beste« ist für die Spätzeit auch für Johann Jacob außerhalb der bislang erwiesenermaßen graphischen Arbeiten ein Außerlandes-Griff nach spektakulärem Neupapier generell umso weniger ausschließbar, als sich schon Johann Elias als Mitzwanziger mit einer Hirschhatz als lt. Wend dem „vermutlich früheste(n) deutsche(n) Schabkunstblatt in Farben“ als einen auch technischen Vorreiter etabliert hatte.
Und so tauchte in jüngerer Zeit im deutschen Handel denn auch eine mit Ridinger’s Jüngstem, Johann Jacob, in Verbindung gebrachte Waldlandschaft (Feder in Schwarz, mit Pinsel in Schwarz, grau laviert, 268 x 400 mm) mit Velin als Zeichengrund auf, die mit den vier 1773/74er folioformatigen signierten Zeichnungen (Jacob Ridinger del.) der Sammlungen Marschall von Bieberstein (Catalog der Handzeichnungen, Prestel 1879, 110: Waldgegenden mit Hirschen und Wildschweinen, Kreide) bzw. 1885 aufgelöster schlesischer Ridinger-Sammlung (Boerner XXXIX, 2079: Schöne Waldlandschaften mit Hirschen, wilden Sauen etc., Trefflich ausgeführte Bleistiftzeichnungen. Aufgezogen) korrespondiert und Blatt 15, Th. 210, der Brockes-Folge zitiert, zugleich aber durch weglassende Verfremdung der drei Sauen (sic!) Insider-Vertrautheit signalisiert.
Gleichwohl überwog mit den vier Waldlandschaften als nur Literaturbekannten im Falle der hier vorgelegenen unbezeichneten noch die Gewichtung des Papiers als Negativum. Was leicht auch die nun anstehende Luchs-Hirsch-Zeichnung hätte einschließen können, wäre da nicht …
Wäre da nicht Th. 1144 mit namentlich dem gewichtigen Specificum des sich bäumenden Kapitalen mit dem einen Luchs am Halse und dem anderen am Bauche, siehe oben. Und stammte die Übertragung nach väterlicher Vorlage ins Kupfer nicht eben von … Johann Jacob!
Womit dessen Beschäftigung mit jener merkwürdigen Mitvierziger-Gruppe auf silbernem Tablett liegt. Fiele die Entstehung des Kupfers in die Zeit nach Ableben des Vaters, bei dem Johann Jacob 31 war, fiele sie in die Zeit generellen Aufarbeitens väterlicher Hinterlassenschaft seitens der Söhne. Wie nicht zuletzt oben beigezogene Luchs-Steinbock-Variante aus der erst 1779 abgeschlossenen Folge der Vorfallenheiten.
Und so bedingt die Gewichtung der derzeitigen Fakten Johann Jacob als den Urheber anstehender Zeichnung. Und als den nächstliegenden dazu. Weil denkbarer, als daß einer der verschiedensten Ridinger-Kopisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sich ausgerechnet mittels eines von ihm nach hiesiger Übersicht nicht verwandten Luchs-Hirsch-Themas als Dominante eingeübt haben sollte.
Einer analog zu hiesigem Hirsche oben Mitte durch die Luft springenden Gemse begegnen wir immerhin auf dem ebenso schönen wir raren Titelblatt zu Hermann Menzler’s lithographischem Ridinger-Jagd-Album von 1863/65, siehe dessen Abbildung bei J. H. Niemeyer, Ridinger Erlebnisse … 1698-2020, 2021, Seite 210. Doch den Luchs handelte er in Verbindung mit einem Stier nach Th. 303 ab, welcher Geschehensabfolge auch der Luchs-Steinbock-Kampf von Th. 364 folgt, also gänzlich konträr zu seinem Obsiegen gegenüber den hiesigen Hirschen.
Für deren Luchs-Erfahrung aber konnte Johann Jacob auf obige beeindruckende Passage väterlicher Vorlagen zurückgreifen. Mit jeder Arbeit als einer Variante. Und mit anstehender als einer weiteren. Und mit 13 als den meisten Hirschen dazu. Und eben diesem Scenarium widmete er Thienemann 1144 als eines großen, anspruchsvollen Blattes. Nach eben väterlicher Vorlage. Gleichwohl folgt die Wertung dem Blatte als solchem.
Links aus Th. 260 (1741) via Menzler, rechts aus Th. 266 (1742) via hiesiger spiegelbildlicher Druckplatte
Und in dessen nach derzeitiger hiesiger Kenntnis unikaten Stellung mag uns anstehende Luchs/Hirsch-Zeichnung in ihrem adäquat auftrumpfenden Formate grüßen als ein
Halali des letzten der Ridingers.
Dargeboten gewohnt kraftvoll jugendlich frisch. In faszinierender Rasanz. Als ein Start in den Nachruhm.
Angebots-Nr. 16.294 | Preis auf Anfrage
- C. F. G. R. Schwerdt, Hunting, Hawking, Shooting illustrated in a Catalogue of Books, Manuscripts, Prints, and Drawings, 1928-37, Bd. III, Tafel 214; erlebnis ridinger, 1998, S. 5; jeweils farbig.↩
- Johannes Wend, Ergänzungen zu den Œuvreverzeichnissen der Druckgrafik, Bd. I.1, 1975, Nr. 94.↩