lüder h. niemeyer - jahrzehntelang unverwechselbar

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Das Zentrum des Traums der Königin-Mutter Anna von Frankreich

Die imperiale Kreuzigung

nach Charles LeBrun

Ridinger, Johann Elias (Ulm 1698 – Augsburg 1767). In manus tuas commendo Spiritum meum. Psalm. 31. V. 6. Vor Teil-Silhouette Jerusalems in gleißendem Lichte an liberalerem T-förmigen Kreuz der dem Tode nahe Jesus, aufblickend nach links. Am Boden die Paradies-Symbole der Adam-Kopf und die ob ihres Zerquetschtwerdens durch einen Steinblock schmerzhaft gegen den Apfel zischelnde Schlange. Zwischen diesen und dem Steinblock aus einer steinernen Umhüllung herausdrängendes Inneres analog wohl der nach Joh. XX,40 jüdischem Bestattungsbrauch dienenden würzigen Kräuter. So Gareau zu LeBrun’s Kreuz-Abnahme. Montiert mit ihrem letzten Drittel auf das Querholz die IESUS NAZARENUS REX IUDÆORUM-Schrifttafel als hebräisch-griechisch-latein. Zweizeiler. Deren Oberkante mit leichter Girlande.

Johann Elias Ridinger, Kreuzigung

Kupferstich von Leonhard Michael Steinberger (um 1713 Augsburg 1772) nach Charles LeBrun (1619 Paris 1690) via des Kupferstichs von Benoit Audran I (Lyon 1661 – auf seinem Landgut L’Ouzouer bei Sens 1721). Bezeichnet: Iohan(n) Elias Ridinger excud. Aug. Vind. / I. M. Steinberger scul. (sic!), ansonsten wie vor. 71,3 × 47 cm (28⅛ × 18½ in).

ad Ridinger: Thienemann + Schwarz 914 (beschnitten, da offenbar ohne die Textzeile).

ad LeBrun: Michel Gareau, Charles LeBrun, First Painter to King Louis XIV, 1992, SS. 148-151 nebst 2 Farbabb. der beizuziehenden Öle in Paris + Moskau; Thieme-Becker XXII (1928), 510 f. mit vier der Kreuzigungs-Öle, noch ohne die Kreuzigungsabnahme. Letztere erst 1937 per Steinberger.

ad Audran: Nagler, Künstler-Lexicon, I (1835), 193: »Zu seinen vorzüglichsten Blättern gehörenChristus am Kreuze, nach Le Brun«, bevor unter »Geschätzte Blätter sind ferner: … Die Kreuzabnehmung« nach demselben figuriert. – Welcher LeBrun-Vorlage sich Audran/Steinberger bedienten, muß derzeit hier dahingestellt bleiben. Gesichert begegnen wir ihr immerhin als einer

seitenrichtigen authentischen puren Kreuzigungs-Wiederholung mit dem T-Kreuz aus

Der Gekreuzigte mit den Engeln des Louvre

von ca. 1660/61. Das bei leicht geänderter Beinhaltung seinerseits bis hin zu des letzteren T-Form identisch ist mit dem bereits 1637er Christus am Kreuz, angekauft von Katharina der Großen (Stettin 1729 – Petersburg 1796, reg. seit 1762), heute im Puschkin-Museum Moskau. Siehe Gareau, a. a. O., Farbtafel S. 151.

» 1660 von Mazarin bei Hofe eingeführt, malt [LeBrun] für die Königinmutter [Anna von Österreich, Infantin von Spanien, Valladolid 1601 – Paris 1666] einen Kruzifixus mit Engeln, für den König [Ludwig XIV., Schloss Saint-Germain-en-Laye 1638 – Versailles 1715]: Alexander d. Gr. u. d. Witwe des Darius ([Gareau: 1660/61]; Louvre; ebda. 4 große dems. Zyklus angehörende, zwischen 1662/68 [recte ab 1660/61?] entstandene Bilder) « (Thieme-Becker, s. o.).

» ([Die Königinmutter] besuchte zu innerer Einkehr oft das Karmeliter-Kloster in der rue St. JACQUES, wo verschiedene von LeBrun geschaffene Werke zu sehen waren. Als die Königin die Bilder sah, war sie überrascht. Sie schickte nach dem Künstler und fragte ihn, ob er einen Traum, den sie gehabt habe, in welchem Jesus Christus am Kreuz, nahe dem Tode umgeben von anbetenden Engeln, einige auf dem Boden knieend, einige fliegend, am Fuß des Kreuzes die Krone Frankreichs, dargestellt sei, auf Leinwand übertragen könne. ›Und Monsieur LeBrun durchdrang die andächtigen Gedanken der Königin so gut, daß sie, als sie das Bild sah, bestätigte, daß es dem gliche, was sie in ihrem Traum gesehen habe‹). «

Bei solchem Hineindenken hätte der mitspielende Karmeliter-Aspekt allerdings des konventionellen -förmigen statt des von LeBrun gern benutzten liberaleren T-Kreuzes bedurft. Bei seiner ca. 1679er Kreuzabnahme für die Karmeliterinnen in Lyon hat er solches nicht übersehen, siehe oben. Christi’s in besagten drei Bildern Aufblicken als weniger die Regel sei im übrigen eigens vermerkt. Wie denn auch die bewußt eingesetzten Paradies-Symbole Adam-Kopf, Schlange und Apfel von Belang sind. Denn

» Der Sündenfall (1. Mos. 3) – ursprünglich positiv gedeutet als Gewinn gottgleicher Entscheidungs- und Meinungsfreiheit – wird durch Paulus zur Erbsünde umgedeutet (Röm. 5). Er begründet auch die Verbindung zwischen A[dam]. und Christus (1. Kor. 15):

Christus ist der neue A[dam]., der das ewige Leben zurückbringt …

Johann Elias Ridinger, Kreuzigung (Ausschnitt)

A[dam]. erhebt sich unter dem Gekreuzigten aus dem Grabe

(Triumphkreuze in Halberstadt, um 1220, und Wechselburg, um 1230). Seit dem 13. Jh. erscheint der Totenschädel A. unter dem Kreuz als Gegenüberstellung mit dem vor der Verwesung bewahrten Leib Christi … Entsprechend beziehen sich die Darstellungen der E[va]. auf Maria und auf Ecclesia. Maria als neue E. hebt durch die Geburt des Gottessohnes die Sünde auf. Dies wird deutlich auf Bildern, in denen Maria dem Jesuskind einen Apfel reicht. «

Womit auf der 1637er Moskauer Kreuzigung die kleine Hl. Familie marginal ganz unten rechtsaußen korrespondiert. Mittig am Boden ansonsten Totenschädel und sehr niedriges Detail-Jerusalem. Beidseits des Körpers drei fliegende Putten-Gruppen, unter diesen abbildungsmäßig Nichtidentifizierbares. Alles Umfeld ohne Vorbildcharakter für die hier anstehende Kreuzigung.

» Le Brun, der an den italienischen Meistern geschult war, hinterließ ein Werk, das für die folgenden Generationen französischer höfischer Kunst in seiner Stringenz und gravitätischen Würde immer wieder beispielhaft war. Gerade mit der zunehmenden Verspieltheit des Dekors im 18. Jahrhundert besann sich die Kunstdebatte der Zeit zurück auf das Grand siècle [und dessen grand peintre], dessen Kunstproduktion als die wahre französische Kunst idealisiert und als zu erstrebendes Gegenstück zum Ornamentenschwulst begriffen wurde« (dt. Wikip. 12. 9. 2022).

Ganz vorzüglicher Druck perfekten Hell-Dunkels auf vollem Bogen

von 81 × 54,6 cm (31⅞ × 21½ in) Blattgröße bei oben/unten 4,8-5 + seitlich 3,7-4 cm Breitrandigkeit des von den Ridingers bevorzugten und mit typograph. Wz. ausgewiesenen schweren WANGEN-Bütten der Loth-Dynastie auf der traditionstiefen Lottenmühle in Nieder-Wangen an der Argen, herkommend

aus alter französischer Ridinger-Sammlung mit Biß.

Als, neutral gesehen, mit ihren LeBrun’schen Kreuzigungs-Pendants, sprich, namentlich deren geradezu sensationellen Kreuzabnahme-Rarissimums französischem Kern neben aller sonstigen Herrlichkeiten als gleichwohl Bekanntem. Und ist es eben dieser Silberne-Tablett-Aspekt, der

zwangsläufig auf eine originäre, eben französische, Bezugsquelle hinausläuft.

Und wie hier bei früheren sich einheitlich präsentierenden Spitzenstücken erster Adressen gesichert die Ridingers unmittelbar ins Visier zu nehmen waren, so deutet bei anstehendem alles auf deren Pariser Agenten hin, den Kunsthändler Gilles Rosselin.

Entsprechend Johann Elias in hier aufliegendem, Décultot unbekannt gebliebenem Direkt-Brief vom 21. 6. 1765 an Kunstpapst Wille in Paris, daß er diesem die zugedachten Dinge wiederum nicht unmittelbar, vielmehr via Rosselin zukommen lasse, geschuldet, so anderwärts, den unsicheren Post- und Transportverhältnissen. So denn auch schon am 3. 11. 1761 bezgl. des ihm zugedachten Ex der Reitschule (sicherlich der 1760/61er Kleinen). Und mit Todesmeldung die Söhne am 12. 4. 1767 mit PS »Melden Sie Mons Gil. Roselin unsrem Freunde diese Nachricht gleichfals …«

Johann Elias Ridinger, Kreuzigung (Ausschnitt)
Und ward’ eine große Finsternis: Teil-Silhouette Jerusalems

Vorstellbar solchermaßen, mit welcher ganz persönlichen Bezogenheit Ridinger Steinberger’s Kreuz-Pendants zur Veröffentlichung hereingenommen haben mag. Als zugehörig eben jenes grand peintre du grand siècle, dessen ALEXANDER–Zenit seinem eigenen frühen Schlüssel-Werk zutiefst verbunden war. Und welcher ihm hier als thematisch gleichwohl nicht weniger fremd als ein ganz anderer LeBrun wiederbegegnete. Denn

» Weit entfernt von dem feurigen und energischen Ausdruck der [1660er Alexander-]Schlachten, spiegelt das Gemälde die friedvolle Empfindsamkeit wider, die den Maler gegen Ende seiner Karriere erfüllt haben muß … [Die Anbetung der Hirten], vollendet wenige Monate vor seinem Tode, wird für Charles Le Brun’s letztes bedeutendes Werk gehalten. Des alten Mannes späte Tage waren der Bibel-Lektüre gewidmet, was er dann in seine Malereien übernahm. Es ist ganz klar eine Rückkehr zur religiösen Malerei im Stile Poussins, aber Le Brun’s kompositorische und zeichnerische Characteristica sind leicht erkennbar … « (Gareau, a. a. O., S. 158).

19jährig schon peintre du roy, begleitete LeBrun 1642 Poussin (1593-1665) auf dessen endgültiger Rückkehr nach Rom und war diesem während seines eigenen 3jährigen dortigen Aufenthalts verbunden geblieben. Und Jahn zu Poussin resümierend »In seinem Schaffen vollzieht sich unaufhaltsam ein Wandel von barocker Haltung zu einem nach Maß und Klarheit drängenden Klassizismus, eine für die franz. Kunst des 17. Jh. auch sonst bezeichnende Erscheinung.«

Mittelfalte mit Falzstreifen-Rest. – Je 2 minimalste Eselsohren + Kleinsteinrisse säurefrei hintelegt.

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  1. »(In einer Anzahl seiner religiösen Werke lockte LeBrun der Gebrauch des liberaleren T-förmigen Kreuzes wie von der Kreuzigungs-Geschichte in verschiedenen Versioen beschrieben, aber hier [der für die Karmeliterinnen in Lyon bestimmten Kreuz-Abnahme] optierte er gemäß Karmeliter-Wappen für die konventionelle †-Form)« (Gareau, a. a. O., S. 152).
  2. Designer-Exemplar letzter Schönheit deren ca. 1671-1678 im Auftrage Ludwigs XIV. geschaffenen imperialen Kupfer-Ausgabe hier aufliegend.
  3. Claude Nivelon, Vie de Charles Le Brun et description détaillée de ses ouvrages. Paris, Bibliothèque Nationale, ca. 1700, nach Gareau, a. a. O., S. 148.
  4. Brigitte Riese, Seemann’s Lexikon der Ikonografie, 2007, S. 12.
  5. Elisabeth Décultot et al. (Hrsg.), Johann Georg Wille/Briefwechsel, 1999.
  6. Décultot 98/S. 244.
  7. Johannes Jahn, Wörterbuch der Kunst, 5. Aufl., 1957, SS. 52 f.

Die Auslese des Tages